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Leseproben aus 'Moritz'

Sabine

Seltsamerweise machten am nächsten Tag weder der Klassenlehrer noch Sabine Anstalten, einen Tisch zu besorgen und so blieb sie erstmal neben ihm sitzen. An diesem Morgen gesellte sie sich in der großen Pause zu den beiden Jungs an die Tischtennisplatte.

"Hallo." Sie schwang sich auf den kalten Stein. Pass auf, dass du keinen Wolf kriegst, dachte Moritz. "Bist du sitzen geblieben oder so, Sabine?" wagte Chriss sich, sie zu fragen. Sie schnipste mit den Wimpern und lachte. "Nein, ich war vorher auf der Marienschule."

Moritz und Chriss sahen sich fragend an.

"Die war so streng katholisch, da konnte ich mich nicht einfügen." "Hast aber lange durchgehalten, wenn du bis zur Neunten geblieben bist." "Bisher war ich ja auch ein Engelchen." Sie lachte spitzbübisch. "Los Jungs, erzählt mal ein bisschen was über euch, was sind eure Hobbies, welche Musik hört ihr gerne, was mögt ihr gar nicht... Los raus mit der Sprache." Sie rutschte auf dem kalten Steintisch in eine bequemere Position und lächelte die Beiden neugierig und freundlich an.

Chriss fing gleich an loszuplappern, aber Moritz dachte, was für ein Scheiß, mal wieder. Er verabscheute derlei Spielchen, war ihm einfach zu blöd, Kinderkram. Und außerdem, welche Hobbies hatte er denn? Ihm fiel beim besten Willen nichts ein. Wenn er sagte, dass er Gitarre spielte, waren immer gleich alle Mädchen entzückt, aber so gut konnte er doch gar nicht spielen, er spielte ja nicht mal in einer Band oder so. Und im Mittelpunkt stand er auch nicht sonderlich gerne.

Und was sollte er sagen beim Thema Musik? Dass er auf Drehzahlmesser stand? Nicht, weil sie besonders gut waren oder er ihre Musik mochte, es war nur die einzige Band, die er beim Namen nennen konnte. Er musste sich erst mal bei Chriss über die erkundigen und vielleicht hatte Chriss ja auch ein paar LPs von anderen guten Punkbands, die er mal ausleihen konnte. Ansonsten hörte er nur so das, was im Radio lief und das hatte ihn bisher nie sonderlich interessiert. Auf seiner Klampfe spielte er hin und wieder mal Lieder von Reinhard Mey, die auch seine Mutter mochte und wenn er Lust hatte, laut mitzusingen.

Während er so nachdachte und grübelte, was er sagen konnte, wenn die Reihe an ihn kam, also solche Spiele hasste er echt, und die wurden immer dann ausgetreten und breitgeklopft, wenn man zum Beispiel in Englisch oder Französisch übungshalber über sich erzählen musste, bemerkte er gar nicht, dass Chriss und Sabine sich angeregt über Musik unterhielten und sich gar nicht um Moritz kümmerten. Was war denn das?

"Knorkator, " sagte Chriss gerade "die haben doch immer so widerliche Texte: "Mich verfolgt meine eigene Scheiße", oder so... Brr" Er schüttelte sich lachend. "Ja, aber ich finde sie auch lustig, zum Beispiel das Lied "Ich bin böse". Das ist zu cool. Kennst du Knorkator?" wandte sie sich an Moritz. "Nein, glaub nicht." "Ich werde euch morgen mal eine CD vorbeibringen, die könnt ihr euch anhören."

Da es gerade wieder zum Unterrichtsbeginn läutete, fragte niemand mehr nach Moritz Vorlieben und das war ihm auch gerade recht so. Der restliche Morgen verlief recht unspektakulär, in Französisch wurde ein kleiner Test geschrieben, den Sabine auch mitmachte, übungshalber. Allerdings hatte sie keine Schwierigkeiten im Unterricht mitzukommen, kein Wunder, wenn man von der Marienschule kam.

Als es zum Schulschluss gongte, alle Schüler geräuschvoll ihre Taschen packten und Moritz noch schnell was von der Tafel auf seinen Block krakelte, bemerkte er aus den Augenwinkeln, wie Sabine gerade seinen Radiergummi in ihrem Mäppchen versenkte. Sie fragte täglich mehrmals, ob sie seinen Radiergummi ausleihen konnte, er schob ihn ihr immer wieder rüber, leicht genervt, denn warum, um alles in der Welt konnte sie sich keinen eigenen besorgen, fragte er sich. Und jetzt das, jetzt hatte sie ihn endgültig eingesäckelt, dieses Biest.